Täglich treffen wir unzählige Entscheidungen. Bewusst oder unbewusst. Manche davon haben nur Einfluss auf die darauffolgenden Sekunden, manche aber auf den Rest des Lebens. Genau diese Entscheidungen sind die schwierigsten, weil uns die Schwere unserer eigenen Entscheidungskraft bewusst wird. Über solchen Entscheidungen brüten wir oft wochenlang oder wie in meinem Fall Monate. Kündige ich meinen Job und mache ich mich selbstständig? Soll ich mein Leben in einer anderen Stadt neu beginnen? Starte ich ein neues Projekt mit unsicherem Ausgang und finanziellen Risiken? Was ist richtig, was ist falsch?
Vor gut 2 Jahren wurde mir vom Leben ein Ultimatum gesetzt. Ich musste eine Entscheidung treffen, die - egal wie ich mich entschied - mein ganzes Leben nachhaltig verändern würde. Anhand meiner Erfahrung möchte ich mit euch teilen wie ich zu meiner Entscheidung kam und euch eine Anleitung geben, wie ihr für euch Entscheidungen treffen und gute von schlechten Entscheidungen unterscheiden könnt.
Mit 2018 war ein turbulentes Jahr für mich zu Ende gegangen. Anfang 2019 fühlte ich mich dafür wie ein neuer Mensch: Ich hatte ein gesundheitliches Problem ausgestanden, schwierige Projekte abgeschlossen und zum ersten Mal in meinem Leben (ich war 29 zu diesem Zeitpunkt) lebte ich in einer festen Beziehung. Ich und mein Partner kannten uns zwar schon lange weil wir im selben Unternehmen arbeiteten, aber im Jänner 2019 waren wir gerade mal 1 Monat lang liiert. Rückblickend war das die Ruhe vor dem Sturm, denn das Leben - wie es halt so ist - hielt eine Überraschung für mich parat. Ich erinnere mich an die Situation als ob es gestern gewesen wäre: Mein Partner zog mich in den Besprechungsraum mit den Worten: „Ich muss dir was erzählen.“ Und während er begeistert erzählte, rutschte ich immer tiefer in das bequeme Sofa das dort stand. „Heißt das, du ziehst nach Linz?“, fragte ich am Ende seiner Geschichte. Er antwortete nicht, aber ich wusste er hatte sich bereits entschieden. Unserem Gespräch war ein Telefonat vorangegangen, bei welchem ihm eröffnet wurde, dass er als Nachfolger eines Architekten ein Büro in Linz übernehmen könnte. Ich wusste, das war die Chance auf die er immer gewartet hatte und weil ich wusste wie viel es ihm bedeutet, hätte ich ihn um nichts in der Welt davon abhalten wollen.
Doch die Schwere der Situation traf mich nach und nach. Wochenlang grübelte ich was das für mich bedeuten könnte. Umziehen? Pendeln? Oder in Wien bleiben und die Beziehung aufgeben? Fernbeziehung? Alle Optionen hatten hunderte mögliche Ausgänge. Die folgenden Tage waren bestimmt von meiner Unsicherheit. Bei der Arbeit driftete ich ab, in Gedanken an das was sein könnte - oder eben nicht. Wie konnte ich eine Entscheidung treffen? Es war doch unmöglich vorherzusehen, wie es ausgehen würde! Und so schob ich die Entscheidung vor mir her, hoffte insgeheim, der Deal würde platzen oder es würde sich ein noch besseres Angebot in Wien auftun. Alles nur, um mir die Entscheidung abzunehmen.
Aber den Gefallen tat mir das Leben leider nicht. Die Verhandlungen waren abgeschlossen und Oktober als Start meines Partners, im neuen Büro, festgelegt. Umso näher wir diesem Datum kamen, umso schlimmer wurde es. Meine Gedanken kreisten immer wieder um das Thema und ich war nicht imstande Ordnung zu schaffen. Das Thema wurde zur Zerreißprobe für unsere Beziehung, denn wann immer er enthusiastisch von den Möglichkeiten in Linz erzählte, schottete ich mich ab, wurde still und reagierte nicht mehr. Innerlich wusste ich: Wenn ich nicht alles verlieren wollte, musste ich mich entscheiden!
Lies weiter und erfahre, warum ich mich auf dem Weg zu meiner Entscheidung erst mal davon abwenden musste, die richtige Entscheidung treffen zu wollen, was mich in die falsche Richtung führte und welche Denkmuster ich durchbrechen musste um herauszufinden, was ich wirklich wollte. Zum Schluss gibt es natürlich die Auflösung: Hat meine Entscheidung sich als gut erwiesen?
Eines kann ich vorweg nehmen: Mein größtes Problem war, dass ich versuchte eine richtige Entscheidung zu treffen. Tatsächlich ist das aber unmöglich, denn ob eine Entscheidung richtig oder falsch ist, stellt sich (meist) erst im Nachhinein heraus. Gut, wenn es heißt ‚Achtung Hochspannung‘ kann man davon ausgehen, dass es die falsche Entscheidung ist, die Stromleitung dennoch anzufassen. Aber die meisten gravierenden Entscheidungen im Leben, haben eben ungeahnte Auswirkungen und niemand macht sich die Mühe Schilder aufzustellen auf denen steht welchen Ausgang Beziehungen, Projekte oder eben Umzüge nehmen.
Ich musste mich also davon verabschieden in die Zukunft schauen zu wollen, sondern musste eine Entscheidung treffen, die sich sowohl in der Situation, als auch in Zukunft gut anfühlen würde (easy!). Dafür musste ich Faktoren berücksichtigen, die sowohl kurzfristig, als auch langfristig für mich wichtig sind. Mit dieser Erkenntnis konnte ich zumindest schon mal die Möglichkeit zwischen Wien und Linz zu pendeln streichen. Denn wer mich kennt weiß, dass mich 20 Minuten mit der Straßenbahn in die Arbeit zu pendeln, an meine Grenzen stoßen lässt. Die 80 Minuten von Bahnhof zu Bahnhof wären also weit außerhalb meiner Komfortzone. Damit blieben die zwei großen Entscheidungsbrocken übrig: In Wien bleiben und eine potenziell gute Beziehung abhaken oder nach Linz ziehen und alles aufgeben, was ich mir bis dahin aufgebaut hatte. Freunde, Job, Wohnung, alles weg. Legte man beides auf die Waagschale, lagen sie gleich auf. Was half mir letztendlich meine gute Entscheidung zu finden?
Ein Rat den man oft bekommt, wenn man Entscheidungen treffen soll, ist die gute alte Pro und Contra Liste. Ich möchte im folgenden beschreiben, warum diese Methode (zumindest für mich) nicht funktioniert. Auch in meiner Situation hatte ich natürlich diesen Rat bekommen und natürlich habe ich daraufhin eine Liste angefertigt. Natürlich habe ich auf beiden Seiten die Punkte gezählt und natürlich hat sie ein eindeutiges Ergebnis geliefert. Und natürlich hat sie mir nicht geholfen die Entscheidung zu treffen. Auf der ‚Zieh nach Linz‘ Seite stand natürlich mein Partner ganz oben. Als zweites kam noch ‚Du wolltest dich seit Ewigkeiten selbstständig machen‘. Gut, zwei Punkte für Linz. Auf der Wien Seite standen aber viel mehr Punkte: ‚Deine Schwester ist in Wien‘, ‚Dein Job ist in Wien‘, ‚Alle deine Freunde sind in Wien‘, ‚Du liebst deine Wohnung‘, ‚Auch in Wien kannst du dich selbstständig machen’ und dann noch ein paar emotionale Werte wie ‚Super Öffis‘, oder ein paar Lieblingsbars und -plätze. Die Pro und Contra Liste hat eindeutig ergeben: Bleib in Wien. Wow. So einfach ging das? Dennoch war ich nicht ganz zufrieden. Eigentlich überhaupt nicht. Auf einmal fing ich an Punkte zu suchen, die dann doch auf die Linz Seite passen. Warum konnte ich das Ergebnis nicht akzeptieren?
Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass man versucht, emotionale Dinge zu rationalisieren. Punkte wie Beziehungen, Freunde, Familie sind emotionale Werte und können daher keinesfalls mit ‚Super Öffis‘ gleichgesetzt werden. Die Öffis in Wien sind unschlagbar, aber wer würde einen guten Freund dagegen eintauschen? Warum bekommen sie also die selbe Punktezahl? Gleichzeitig muss man aber auch die emotionalen Werte untereinander vergleichen: Bekommt die Schwester also die gleiche Punktezahl wie der neue Freund? Genauso wie man Menschen keine finanziellen Werte zuschreiben kann, kann man ihnen keine Punkte auf einer Liste verleihen.
Weiteres hängen an unterschiedlichen Punkten auf der Liste auch andere Werte. Die Zeit, die man mit Freunden verbringt: Ist es tatsächlich wichtig wo man sie verbringt? Oder der Job: Es ist gut ein fixes Einkommen zu haben, aber ist es nicht möglich durch eine Veränderung sogar einen persönlichen Mehrwert zu schöpfen? Ich wusste, durch diese Überlegungen, dass es Sinn machte, sich mit den Variablen zu beschäftigen und mir wurde klar, dass ich in meinen Überlegungen bisher einen entscheidenden (Haha, get it?) Fehler gemacht hatte: Ich hatte mich nur auf die negativen Auswirkungen konzentriert.
Ständig hatte ich gedacht: Wenn ich A mache, verliere ich B. Wenn ich B mache, verliere ich A. Kein Wunder, dass ich mich im Kreis gedreht hatte!
In den folgenden Tagen, versuchte ich mich auf die positiven Dinge zu konzentrieren und vor allem auch mögliche positive Ereignisse vorherzusagen. Und siehe da: Auf einmal ergab sich für meinen Wohnsitzwechsel eine wahre Flut an neuen Möglichkeiten. Neuer Wohnort - neue Freunde. Neuer Job - neue Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Neue Umgebung - neue Perspektiven. Neue Wohnung - neue Einrichtung. Mir war natürlich klar, dass das alles nicht passieren musste. Es dauert neue Freundschaften zu knüpfen und auch ein neuer Job kommt mit Frustrationen. Aber ich schaffte es, so zumindest ein positives Bild von einer möglichen Zukunft zu schaffen und dies erleichterte mir meine Entscheidung ungemein. Auf einmal lichtete sich der Entscheidungswald und ich sah zum ersten Mal, was ich vorher komplett ausgeklammert hatte: Eine Chance, das zu tun, was ich schon immer machen wollte.
Jahre davor hatte ich schon davon gesprochen, dass ich ein eigenes Unternehmen gründen wollte. Auch träumte ich immer insgeheim davon, nochmal in eine andere Stadt zu ziehen. Gut, Linz stand da nicht ganz oben auf der Liste. Aber nun schien es so, als würde sich mit der Entscheidung, die mir das Leben so vorgesetzt hatte, die Möglichkeit bieten, auch Dinge umzusetzen, die mir wichtig waren. Das wäre mir niemals klar geworden, wenn ich mich immer nur auf das Negative konzentriert hätte. Meine Schwester sagte mal zu mir:
„Du musst dir positive Dinge vorstellen. Du gehst ja auch nicht mit einer Liste einkaufen, auf der Dinge stehen, die du nicht haben willst!“
Meine Entscheidung schien auf einmal getroffen zu sein. Doch auch einen weiteren Faktor, der mir in meiner Situation sehr geholfen hat, möchte ich euch nicht vorenthalten.
Timing ist alles. Das hatte ich in diesem Jahr gelernt. Ständig hatte ich drüber nachgedacht: Warum kommt nur ein Monat nach dem Beginn meiner neuen Beziehung dieser Anruf? Warum muss ich mich jetzt entscheiden, wo doch noch so viele Dinge unklar sind? Aber an eine Sache hatte ich nicht gedacht: Wäre der Anruf an meinen Partner ein Monat früher gekommen, wären wir vielleicht gar nicht erst ein Paar geworden. Manche Dinge haben wir nicht in der Hand. Was ich aber sehr wohl in der Hand hatte, war der Zeitraum in dem ich meine Entscheidung traf. Natürlich müssen manche Entscheidungen schnell getroffen werden, aber wir sind nicht Ärzte in der Notaufnahme, sondern Menschen die Entscheidungen für ihr weiteres Leben treffen. Das bedeutet auch, dass wir uns Zeit nehmen dürfen. Es muss nicht von heute auf morgen sein, war eine wichtige Erkenntnis für mich. Ich hatte mich zu Beginn unnötig gestresst, anstatt die potentielle neue Situation kennenzulernen, um diese auch besser beurteilen zu können. Als die Monate vergingen und Oktober näher kam, war ich immer öfter in Linz vor Ort. Sah mir die neue Wohnung an, machte Spaziergänge in der Umgebung, bereitete meine neue Unternehmung vor. Und so wie alles seine Zeit hat, hatte auch meine Entscheidung eine Zeit an der sie reif war und getroffen werden wollte.
Eine gute Entscheidung fühlt sich auch nach Jahren noch gut an und siehe da: Zwei Jahre nach meiner Entscheidung bin ich immer noch froh, den Schritt gewagt zu haben. Nicht alles ist eingetreten wie erhofft, aber auch ist nicht alles eingetreten wie befürchtet. Diese Entscheidung, die sicher zu den größten meines Lebens gezählt hat, hat mir die Möglichkeit gegeben mehr über mich selbst und den Prozess den ich für eine Entscheidungsfindung brauche, zu erfahren. Dieser Prozess mag für jeden Menschen anders aussehen, aber wichtig ist immer:
Setz dich mit den positiven Möglichkeiten deiner Entscheidung auseinander. Beurteile welche Option dir vielleicht die Chance gibt, etwas zu erreichen was du schon immer erreichen wolltest und nimm dir die Zeit die Entscheidung reif werden zu lassen.
Oft stellt uns das Leben Ultimaten, aber es ist in unserer Macht uns zu entscheiden. Und das sind Entscheidungen am Ende des Tages: Beweise unserer eigenen Handlungsfähigkeit. Ich möchte ehrlich sein: Mir sind auch Chancen entgangen, weil ich nicht mehr in Wien wohne und arbeite. Aber auf jede dieser Chancen kommen mindestens zwei, die ich mir aufgrund meiner Entscheidung selbst geschaffen habe.
Und wo wir schon bei Chancen sind: Das beste an meiner Entscheidung war, dass ich dadurch unserer Beziehung die Chance gegeben habe, die sie verdient hat. Durch unseren Umzug und die gemeinsamen Herausforderungen konnten wir zusammen wachsen und haben viele neue Erfahrungen gemacht, auf die wir nun gemeinsam zurückblicken können - die aber auch niemand hätte voraussehen können!
Und so sitze ich heute in unserer Küche in Linz und tippe zufrieden und ein wenig schmunzelnd mein Ken. Ich hoffe, dass meine Entscheidungsfindung auch anderen helfen kann, ihren Weg zu finden und Entscheidungen zu treffen, auf die sie auch nach Jahren noch zufrieden zurückschauen können.
On Ken, we're trying to figure out how the world works — through written conversations with depth and substance.